Freie Arztsitze und Primärarztsystem – Eine fundierte Analyse der aktuellen hausärztlichen Versorgungslage
1. Aktuelle Situation der Hausarztpraxen
Zum Jahresende 2023 waren in Deutschland mehr als 5.000 Hausarztsitze unbesetzt, was einen signifikanten Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren darstellt. Diese Zahl könnte sich in den kommenden Jahren verdoppeln, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden
Gründe für den Mangel:
- Demografischer Wandel: Viele Hausärztinnen und -ärzte nähern sich dem Rentenalter, ohne dass ausreichend Nachwuchs nachrückt.
- Arbeitsbelastung: Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit liegt bei etwa 44 Stunden, was deutlich über dem Durchschnitt anderer Berufsgruppen liegt.
- Bürokratie: Ein erheblicher Teil der Arbeitszeit entfällt auf administrative Aufgaben, was die Attraktivität des Berufs verringert.
2. Einführung eines Primärarztsystems
Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung wurde die Einführung eines verbindlichen Primärarztsystems beschlossen. Demnach sollen Haus- und Kinderärztinnen sowie -ärzte als erste Anlaufstelle für Patientinnen und Patienten fungieren und die Notwendigkeit von Facharztterminen koordinieren.
Ausnahmen:
- Augenheilkunde: Keine Steuerung erforderlich.
- Gynäkologie: Keine Steuerung erforderlich.
- Schwere chronische Erkrankungen: Für Patientinnen und Patienten mit spezifischen schweren chronischen Erkrankungen sollen geeignete Leistungen erarbeitet werden, beispielsweise Jahresüberweisungen oder die Zuweisung eines Fachinternisten als steuernder Primärarzt im Einzelfall.
3. Herausforderungen bei der Umsetzung
Die Einführung des Primärarztsystems steht vor mehreren Herausforderungen:
- Personalmangel: Die bereits bestehenden freien Arztsitze und der prognostizierte Anstieg der unbesetzten Stellen erschweren die Umsetzung.
- Arbeitsbelastung: Die zusätzliche Verantwortung für die Koordination von Facharztterminen könnte die Arbeitsbelastung der Hausärztinnen und -ärzte weiter erhöhen.
- Bürokratie: Die bereits bestehende Bürokratie in der Praxisorganisation könnte durch zusätzliche Aufgaben weiter zunehmen.
Der Hausärzteverband hat in diesem Zusammenhang betont, dass ohne eine umfassende Reform des Medizinstudiums und der Weiterbildung der hausärztliche Nachwuchs nicht gesichert werden kann.
4. Umfrage der Bertelsmann Stiftung
Eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung, durchgeführt zwischen November 2024 und Februar 2025, zeigt, dass jeder vierte Hausarzt in Deutschland plant, innerhalb der nächsten fünf Jahre seine Tätigkeit aufzugeben. Zusätzlich möchten viele ihre wöchentliche Arbeitszeit bis 2030 im Durchschnitt um zweieinhalb Stunden reduzieren.
Hauptgründe:
- Hohe Arbeitsbelastung: Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit liegt bei etwa 44 Stunden.
- Bürokratie: Ein erheblicher Teil der Arbeitszeit entfällt auf administrative Aufgaben.
Die Umfrage empfiehlt daher, die Digitalisierung voranzutreiben und nichtärztliche Berufsgruppen stärker in die Versorgung einzubeziehen, um die Hausärztinnen und -ärzte zu entlasten.
Die Einführung eines Primärarztsystems ist ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der ambulanten Versorgung in Deutschland. Allerdings müssen die bestehenden Herausforderungen, insbesondere der Mangel an Hausärztinnen und -ärzten sowie die hohe Arbeitsbelastung, berücksichtigt werden. Ohne entsprechende Maßnahmen zur Entlastung der Praxen und zur Sicherstellung des hausärztlichen Nachwuchses wird die Umsetzung des Primärarztsystems schwierig.